Rechtsextremismus in Stadt und Land: Ein differenzierter Blick

Wie der Historiker Ernst Nolte in seinem Aufsatz von 1986 formulierte, handelt es sich um eine “Vergangenheit, die nicht vergehen will'.

Cian Ehrismann

12/26/20243 min read

grayscale photo of policemen wearing gears
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Wie kann es sein, dass in der pulsierenden Metropole und im stillen Hinterland gleichermaßen die Echos des Rechtsextremismus widerhallen, und was verraten diese Echos über die subtilen Unterschiede in ihrem Auftreten ? In der heutigen Zeit, in der Rechtsextremismus in Stadt und Land zu einem wachsenden Problem wird, ist dieser differenzierte Blick notwendig.

Rechtsextremismus, weit mehr als nur episodische Vorfälle in den Nachrichten, ist tief in einigen Segmenten der Gesellschaft verwurzelt und erstreckt sich von den urbanen Zentren bis zu den entlegensten ländlichen Gegenden (Mudde, 2007). Vor diesem Hintergrund wird oft untersucht, inwieweit sich der Rechtsextremismus in städtischen im Gegensatz zu ländlichen Gebieten unterscheidet. Laut einer Untersuchung von Rydgren (2008) spielen wirtschaftliche, soziale und kulturelle Bedingungen eine Rolle bei der Formung rechtsextremer Ansichten, wobei diese Faktoren je nach Region unterschiedlich ausfallen können. Angesichts des Anstiegs rechtsextremer Vorfälle in Europa und anderswo (Wodak, 2015) versucht dieser Essay, ein differenziertes Verständnis der geografischen Unterschiede im Rechtsextremismus zu liefern und die vielschichtigen Faktoren, die zu seiner Ausbreitung beitragen, zu untersuchen.

Wahrnehmung in Medien und Gesellschaft

Während die Medien oft bestimmte Bilder von städtischen und ländlichen Gebieten präsentieren, ist es wichtig, sich über die Nuancen und die Realität im Klaren zu sein. Laut Betz (1994) sind rechtsextreme und populistische Bewegungen oft das Ergebnis von kulturellen und ökonomischen Veränderungen, die Angst und Unsicherheit hervorrufen. Es wäre jedoch ein Fehler zu glauben, dass solche Bewegungen nur in bestimmten geografischen Gebieten vorkommen.

Eine Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach von 2019 zeigt, dass rechtsextreme Ansichten nicht unbedingt an eine bestimmte geografische Lage gebunden sind, sondern vielmehr von individuellen Erfahrungen und sozioökonomischem Status beeinflusst werden.

Sozioökonomische Faktoren

Die wirtschaftlichen Herausforderungen, mit denen viele ländliche Gebiete konfrontiert sind, darunter auch der industrielle Wandel, haben laut Infratest dimap (2018) dazu beigetragen, ein Gefühl der Entfremdung und des Verlustes zu schaffen, das oft von rechtsextremen Gruppen ausgenutzt wird.

In einer Studie von Mudde (2007) wird argumentiert, dass die städtische Armut und die Ausgrenzung in einigen städtischen Gebieten Europas ebenso zu extremistischen Ansichten beitragen können wie die wirtschaftlichen Herausforderungen in ländlichen Gebieten.

Bildung und Informationszugang

Nach Norris (2005) kann der Zugang zu qualitativ hochwertiger Bildung und zu vielfältigen Informationsquellen als Schutz gegen extremistische Ansichten dienen, indem er den Menschen Werkzeuge an die Hand gibt, um kritisch zu denken und sich über unterschiedliche Perspektiven zu informieren.

Das Aufkommen des Internets hat jedoch eine neue Dimension hinzugefügt. Laut einer Studie von Fielitz und Laloire (2016) nutzen Extremisten das Internet effektiv, um ihre Botschaften zu verbreiten, unabhängig davon, ob jemand in einer Stadt oder auf dem Land lebt.

Schluss

Rechtsextremismus, der sich in vielfältigen Erscheinungsformen zeigt, kann nicht nur als Reaktion auf ökonomische Deprivation verstanden werden, sondern muss im Kontext breiterer soziokultureller und politischer Entwicklungen betrachtet werden (Mudde, 2007). Es ist irreführend, städtische Gebiete als Oasen der Toleranz und ländliche Gebiete als Bastionen der Intoleranz zu betrachten, da beide Regionen ihre eigenen Nuancen und Herausforderungen haben (Rydgren, 2008). In einer Studie von Eatwell und Goodwin (2018) wird argumentiert, dass eine rein wirtschaftliche Interpretation des Rechtsextremismus nicht ausreicht; sie betonen die Bedeutung von kulturellen und psychologischen Faktoren. Um Rechtsextremismus wirksam zu begegnen, müssen daher Politik, Bildung und Zivilgesellschaft Hand in Hand arbeiten, um sowohl die manifesten als auch die latenten Ursachen anzugehen. Letztendlich ist eine fundierte, kontextabhängige und differenzierte Betrachtung unerlässlich, um Strategien zur Prävention und Bekämpfung des Rechtsextremismus in seinen vielfältigen Formen zu entwickeln und umzusetzen.

Literaturverzeichnis

Betz, H.-G. (1994). Radical Right-Wing Populism in Western Europe. Palgrave Macmillan.

Daten von Instituts für Demoskopie Allensbach und Infratest dimap basieren auf allgemeinen Erkenntnissen bis 2021.

Eatwell, R., & Goodwin, M. (2018). National Populism: The Revolt Against Liberal Democracy. Pelican Books.

Fielitz, M., & Laloire, L. L. (Hrsg.). (2016). Trouble on the Far Right. transcript Verlag.

Mudde, C. (2007). Populist Radical Right Parties in Europe. Cambridge University Press.

Norris, P. (2005). Radical Right: Voters and Parties in the Electoral Market. Cambridge University Press.

Rydgren, J. (2008). Immigration sceptics, xenophobes or racists? Radical right-wing voting in six West European countries. European Journal of Political Research, 47(6), 737-765.

Wodak, R. (2015). The Politics of Fear: What Right-Wing Populist Discourses Mean. SAGE Publications.