Rechtmässigkeit der Arbeitgeberkündigung und Beurteilung illoyales Verhalten
Lena Kern ist Verantwortliche für den Einkauf bei der «Fashionwear». Das Arbeitsverhältnis wurde seitens der «Fashionwear» per 31. Oktober 2023 gekündigt. Vorangegangen war eine längere Arbeitsunfähigkeit, die aktuell fortbesteht.
Cian Ehrismann
4/16/202415 min read
Einleitung
Auftraggeberin und Anlass
Dieses Rechtsgutachten wurde von «Fashionwear» im Zusammenhang mit der laufenden Auseinandersetzung zwischen der «Fashionwear» und der Mitarbeiterin Lena Kern (im Folgenden «LKe») am 21. August 2023 in Auftrag gegeben.
Sachverhalt
LKe (Jahrgang 1990) ist seit dem 1. Februar 2020 mit einem Pensum von 100% als Verantwortliche für den Einkauf bei «Fashionwear» angestellt. Die Mitarbeiterin befindet sich zurzeit in einem gekündigten Arbeitsverhältnis.
Bis Ende 2022 verlief das Arbeitsverhältnis ohne Probleme, was sich auch aus den vorhandenen Qualifikationen der Mitarbeiterin, letztmals im Januar 2023 für das Jahr 2022, ergibt. LKe galt bis dahin als kompetente, ehrgeizige und dienstleistungsorientierte Führungsperson mit grosser Beliebtheit in ihrem Team. Am 17. März 2023 verlangte LKe gegenüber ihrer direkten Vorgesetzten die Auflösung des Arbeitsverhältnisses mittels Aufhebungsvereinbarung sowie die Zahlung einer nicht näher spezifizierten Abgangsentschädigung. Als Grund nannte LKe lediglich, sie sehe keine Zukunft für sich bei der «Fashionwear». Dieser Wunsch wurde durch die Geschäftsleitung der «Fashionwear» abgelehnt, LKe wurde am 21. März 2023 über diese Entscheidung informiert.
Mit Arztzeugnis vom 23. März 2023 wurde LKe eine Arbeitsunfähigkeit zu 100% ab dem 23. März 2023 bis 30. April 2023 bestätigt. Die Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit wurde in Folge monatlich erneuert, die Mitarbeiterin ist bis zum heutigen Tag nicht an den Arbeitsplatz zurückgekehrt.
Der regelmässige Versuch der direkten Vorgesetzten zur Klärung der Situation mit LKe Kontakt aufzunehmen, blieb erfolglos. LKe teilte auf Kontaktversuche hin regelmässig mit, sie wünsche keinen Kontakt.
Das Arbeitsverhältnis wurde in der Folge durch «Fashionwear» am 3. Juli 2023 schriftlich, unter Einhaltung der vertraglichen Kündigungsfrist von drei Monaten auf den 31. Oktober 2023 gekündigt.
Mitte August 2023 veröffentlichte LKe im sozialen Netzwerk «ProConnection», eine Plattform zur Pflege bestehender und zur Knüpfung neuer Geschäftskontakte, folgenden Beitrag:
«Vor kurzem wurde ich während einer Krankheit von meinem Arbeitsplatz entlassen. Ich befand mich in einer schweren psychischen Krise, trauerte und war nicht in der Lage, meine Arbeit zu verrichten oder mich nach einer neuen Stelle umzusehen. Ich wurde ohne Vorwarnung und ohne Erklärung entlassen. Arbeitskollegen:innen erging es gleich, obwohl die gesundheitlichen Beeinträchtigungen auf das Arbeitsumfeld zurückzuführen sind.»
Am 15. August 2023 sendete LKe der «Fashionwear» ein Schreiben per eingeschriebener Postsendung, in dem sie die Missbräuchlichkeit ihrer Kündigung durch die «Fashionwear» geltend macht. Als Grund gibt sie an, dass ihre laufende Arbeitsunfähigkeit ursächlich durch die «Fashionwear» verschuldet sei. Hierbei behält sie sich die Forderung einer Entschädigung, von Schadenersatz und einer Genugtuung vor.
Weiter verlangt sie die Zusendung einer schriftlichen Begründung der Kündigung, des Personaldossiers sowie eines Zwischenzeugnisses innert 10 Tagen.
Informationsquellen
Im Zusammenhang mit dem vorliegenden Fall liegen folgende Dokumente vor:
̶ Arbeitsvertrag vom 18. Dezember 2019 mit Anstellung ab dem 1. Februar 2020;
̶ Arztzeugnis vom 23. März 2023 sowie weitere monatliche Arztzeugnisse bis August 2023;
̶ E-Mail-Verkehr zwischen LKe und der direkten Vorgesetzten Sonja Schmied ab Ende April 2023;
̶ Kündigungsschreiben der «Fashionwear» an LKe vom 3. Juli 2023;
̶ Schreiben von LKe an die «Fashionwear» vom 15. August 2023;
̶ Screenshot des Beitrags von LKe auf der Plattform «ProConnection» von Mitte August 2023.
Auftrag
Ziel des vorliegenden Rechtsgutachtens ist eine umfassende rechtliche Prüfung des Falles, um das weitere Vorgehen der «Fashionwear» vorzubereiten.
Hierbei werden insbesondere folgende Aspekte näher betrachtet:
̶ die Rechtmässigkeit der Kündigung von LKe,
̶ der Inhalt der Einsprache von LKe, insbesondere der vorbehaltenen Forderungen,
̶ der Beitrag von LKe auf der Plattform «ProConnection,
̶ die Erwähnung des illoyalen Verhaltens und des gekündigten Arbeitsverhältnisses im Zwischenzeugnis.
Gestützt auf die Abklärungen werden ein Vorschlag zum weiteren Vorgehen sowie ein Entwurf für das Antwortschreiben an LKe erstellt.
Formen
Die verwendeten Bezeichnungen beziehen sich auf sämtliche Geschlechter.
Abklärung der Rechtslage
Nachfolgend wird auf die relevanten rechtlichen Aspekte zur Beurteilung des weiteren Vorgehens eingegangen und geprüft, inwiefern die Ansprüche beider Parteien basierend auf der aktuellen Rechtslage begründet sind.
Rechtmässigkeit der Kündigung
Kündigung durch die Arbeitgeberin
Gemäss Art. 335 Abs. 1 OR kann ein unbefristetes Arbeitsverhältnis von jeder Vertragspartei gekündigt werden.
LKe ist seit dem 1. Februar 2020 bei der «Fashionwear» beschäftigt und ist somit zum Zeitpunkt der Kündigung im vierten Dienstjahr. Die vertragliche Kündigungsfrist von drei Monaten liegt höher als die von Art. 335c Abs. 1 OR vorgesehene gesetzliche Kündigungsfrist von zwei Monaten. Die Kündigung hat auf das Ende eines Monats zu erfolgen. Die Fristen dürfen gemäss Art. 335c Abs. 2 OR durch schriftliche Abrede abgeändert werden.
Mit der Kündigung vom 3. Juli 2023 auf den 31. Oktober 2023 wurde die vertragliche Kündigungsfrist eingehalten. Damit ist zunächst von einer ordnungsgemässen Kündigung auszugehen.
Kündigung zur Unzeit
Da LKe zum Zeitpunkt der Kündigung zu 100% arbeitsunfähig war, ist insbesondere gestützt auf Art. 336c Abs. 1 lit. b OR zu prüfen, ob eine Kündigung zur Unzeit vorliegt. Trifft dies zu, wäre die Kündigung gemäss Art. 336c Abs. 2 nichtig. Damit ist der Arbeitnehmer zunächst vor einer Kündigung geschützt, während er ohne eigenes Verschulden durch Krankheit oder Unfall ganz oder teilweise an der Arbeitsleistung verhindert ist. Die Sperrfrist für eine Kündigung beträgt ab dem zweiten bis zum fünften Dienstjahr 90 Tage. Da die Arbeitsunfähigkeit von LKe seit dem 23. März 2023 ununterbrochen besteht und die Kündigung am 3. Juli 2023 ausgesprochen wurde, ist diese Sperrfrist eingehalten und die ordentliche Kündigung zum 31. Oktober 2023 gültig.
LKe macht die Kündigung zur Unzeit bisher nicht als Begründung für eine missbräuchliche Kündigung geltend.
Ob der Vertrag auch tatsächlich am 31. Oktober 2023 enden kann, ist noch nicht sicher. Jeder auf einem neuen Grund beruhende Verhinderungsfall nach Art. 336c Abs. 1 OR löst eine neue, eigene Sperrfrist aus.1 Nach Rechtsprechung des Bundesgerichts müssen die Ereignisse aber voneinander unabhängig sein,2 eine Verlängerung der Arbeitsunfähigkeit aus dem gleichen Grund erzeugt keine neue Sperrfrist.
Missbräuchliche Kündigung
Der Begriff der missbräuchlichen Kündigung, wie sie von LKe im Schreiben vom
15. August 2023 vorgebracht wird, ist in Art. 336 ff. OR definiert. Hier ist abgegrenzt, aus welchen Gründen eine Kündigung missbräuchlich sein kann, wenn auch nicht abschliessend.
LKe führt in ihrem Schreiben vom 15. August 2023 an, dass ihre Arbeitsunfähigkeit durch die «Fashionwear» verursacht sei und die Kündigung daher missbräuchlich sei.
1 STREIFF/VON KAENEL/RUDOLPH, Art. 336c OR N. 4.
2 BGE 120 II 124 E. 3d.
Art. 328 OR stellt hierbei mit der Fürsorgepflicht eine wichtige Nebenpflicht der Arbeitgeberin aus dem Arbeitsvertrag dar. Hiernach hat die Arbeitgeberin unter anderem auf die Gesundheit des Arbeitnehmers gebührend Rücksicht zu nehmen (Art. 328 Abs. 1 OR) und jene Massnahmen unter anderem zum Schutze der Gesundheit zu treffen, die der Arbeitgeberin billigerweise zugemutet werden können (Art. 328 Abs. 2 OR). Diese Pflicht ist analog in Art. 6 Abs. 1 ArG abgebildet. Diese Fürsorgepflicht greift dann, wenn die Arbeitgeberin von möglichen gesundheitlichen Problemen physischer oder psychischer Art wusste oder wissen musste. Dies gilt auch in der Situation, in der überdurchschnittlich viele Mitarbeiter einer bestimmten Abteilung krankheitsmässig ausfallen und/oder bereits in der Vergangenheit ausfielen.3
Im vorliegenden Fall hatte die «Fashionwear» weder Kenntnis von möglichen gesundheitlichen Problemen bei LKe, noch hätte sie davon wissen müssen. Auch zu einer Häufung ähnlicher Fälle, wie im Social-Media-Post von LKe von Mitte August angedeutet, ist weiter nichts bekannt. Damit ist davon auszugehen, dass die «Fashionwear» ihre Fürsorgepflicht in Bezug auf die Gesundheit von LKe nicht verletzt hat. Dies wurde in einem vergleichbaren Fall vom Bundesgericht so bestätigt.4
Beurteilung und Beweislage für eine missbräuchliche oder nichtige Kündigung
Nach Prüfung der Sachlage ist die Kündigung von LKe nicht rechtsmissbräuchlich oder nichtig. Weitere mögliche Gründe für eine missbräuchliche oder nichtige Kündigung ergeben sich aus dem bekannten Sachverhalt nicht. Die Kündigung per 31. Oktober 2023 wäre selbst bei Missbräuchlichkeit wirksam. Eine missbräuchliche Kündigung ist zwar unzulässig, aber nicht unwirksam.5
Nach Art. 8 ZGB muss grundsätzlich die Partei, der gekündigt wurde, beweisen, dass die Kündigung missbräuchlich ist. Hierbei kann das Gericht das Vorhandensein einer missbräuchlichen Kündigung auch vermuten, wenn der Arbeitnehmer ausreichende Indizien dazu vorbringen kann.6
3 PETERMANN, ARV 2005, S. 7.
4 BGer 4A_293/2019 vom 22.10.2019 E. 3.5.2.
5 Vgl. REHBINDER/STÖCKLI, Art. 336a OR N. 1.
6 BGE 130 III 699 E. 4.1.
Vorbehalt finanzieller Forderungen
LKe behält sich im Schreiben vom 15. August 2023 vor, eine Entschädigung, Schadenersatz und Genugtuung geltend zu machen.
Diese drei Arten finanzieller Forderungen sind getrennt voneinander zu betrachten.
Entschädigung
Die Forderung nach einer Entschädigung ergibt sich direkt aus Art. 336a Abs. 1 OR. Hiernach ist bei einer missbräuchlichen Kündigung durch die kündigende Partei eine Entschädigung auszurichten. Diese gilt als Sanktion für die rechtswidrige Kündigung und hat den Charakter einer Strafzahlung, die einerseits eine repressive Funktion hat und andererseits einen präventiven Zweck verfolgt.7 Sollte die Kündigung von LKe von einem Gericht als missbräuchlich beurteilt werden, käme also zunächst die Entschädigung zum Tragen. Nach Art. 336a Abs. 2 Satz 1 OR wird diese vom Gericht unter Würdigung aller Umstände auf einen Betrag festgesetzt, der maximal sechs Monatslöhnen entsprechen darf.
Art. 336b regelt das Verfahren, wie Ansprüche geltend zu machen sind. Die Einsprache wegen missbräuchlicher Kündigung ist vor Ende der Kündigungsfrist bei «Fashionwear» eingegangen. Somit ist die erste Voraussetzung zur Geltendmachung einer Entschädigung nach Art. 336b Abs. 1 OR erfüllt. Die Forderung einer Entschädigung ist bislang nur vorbehalten. LKe müsste nun innerhalb von 180 Tagen nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Klage wegen missbräuchlicher Kündigung gegen die «Fashionwear» einreichen, um ihren Anspruch auf Entschädigung geltend zu machen. Ansonsten verfällt der Anspruch (Art. 336b Abs. 2 OR).
7 PORTMANN, ArbR 2008, S. 17 f.
Schadenersatz
Art. 336a Abs. 2 Satz 2 OR legt fest, dass Schadenersatzansprüche aus einem anderen Rechtstitel vorbehalten sind.
Schadenersatzansprüche müssen, anders als die Entschädigung im Sinne von Art. 336a Abs. 1, einen konkret entstandenen Schaden ersetzen. Bei einer fristlosen Kündigung wäre dies konkret der entgangene Lohn (Art. 337b OR). Da die Kündigung von LKe im Rahmen der vertraglichen Kündigungsfrist erfolgte, ist zunächst nicht davon auszugehen, dass LKe ein wirtschaftlicher Schaden entstanden ist, der ersetzt werden muss.
Art. 336aAbs. 2 Satz 2 OR bestimmt, dass Schadenersatzansprüche aus einem anderen Rechtstitel vorbehalten sind. Das Bundesgericht legt diesen Satz so aus, dass ein Schadenersatz aus einem anderen Grund als der missbräuchlichen Kündigung geltend gemacht werden kann. Die Entschädigung enthalte neben der Strafwirkung auch die Wiedergutmachung einer missbräuchlichen Kündigung.8 Eine Forderung von Schadenersatz aus der missbräuchlichen Kündigung, wie von LKe angeführt, ist somit nicht begründet.
Genugtuung
Die Genugtuung ist als eigener Rechtsbegriff in Art. 47 und 49 OR definiert, wobei hier Art. 49 OR relevant ist, der die Genugtuung bei Verletzung der Persönlichkeit regelt. Art. 49 Abs. 1 OR legt fest, dass die Schwere der Verletzung eine Genugtuung rechtfertigen muss und dass keine andere Wiedergutmachung geleistet wurde. Wird eine missbräuchliche Kündigung also nach Art. 336a OR entschädigt, kann keine zusätzliche Genugtuung gefordert werden.
Eine Genugtuung kann zum Tragen kommen, wenn sich im Zusammenhang mit der Kündigung eine widerrechtliche Persönlichkeitsverletzung ereignet, ohne dass die Kündigung selbst missbräuchlich ist, oder wenn der Genugtuungsanspruch auf einem anderen Grund beruht als die Kündigung.9 Eine weitere Möglichkeit für Genugtuung besteht, wenn die Persönlichkeitsverletzung durch die Entschädigung von maximal sechs Monatslöhnen nicht kompensiert wird.10 Im
8 BGE 123 III 391 E. 3.
9 PORTMANN, ArbR 2008, S. 22.
10 REHBINDER/STÖCKLI, Art. 336a OR N. 19.
vorliegenden Fall ist aus keinem dieser Gründe von einem Genugtuungsanspruch auszugehen.
Schriftliche Begründung der Kündigung
Gemäss Art. 335 Abs. 2 OR muss die kündigende Partei die Kündigung schriftlich begründen, wenn die andere Partei dies verlangt. LKe gegenüber kann die Kündigung aus dem Interesse der «Fashionwear» heraus begründet werden, die in einem Textilhandelsunternehmen wichtige Stelle der Verantwortlichen für den Einkauf rasch wiederzubesetzen. Da LKe bereits vor ihrer Arbeitsunfähigkeit um die Auflösung ihres Arbeitsverhältnisses gebeten hat, kann die «Fashionwear», auch nach der Genesung nicht von einem langfristigen Interesse von LKe ausgehen, ihre Arbeit weiterhin zur Verfügung zu stellen. Ein Vorschlag zur Formulierung findet sich im Entwurf des Antwortschreibens an LKe im Anhang.
Illoyales Verhalten
Der Beitrag von LKe verletzt klar die Treupflicht des Arbeitnehmers nach Art. 321a Abs. 1 OR, wonach der Arbeitnehmer die berechtigten Interessen des Arbeitgebers in guten Treuen zu wahren hat. Zu den berechtigten Interessen gehört insbesondere auch die Reputation des Arbeitgebers. Tatsachen, die geeignet sind, diese zu gefährden oder zu zerstören, dürfen anderen Personen und insbesondere der Öffentlichkeit nicht mitgeteilt werden, selbst wenn sie wahr sind.11
Der Social-Media-Post von LKe ist in zwei Gesichtspunkten als illoyal und möglicherweise geschäftsschädigend zu betrachten.
Mit den Formulierungen «Arbeitskollegen:innen erging es gleich» und «obwohl die gesundheitlichen Beeinträchtigungen auf das Arbeitsumfeld zurückzuführen sind» werden eine systematische Verletzung der Fürsorgepflicht der
«Fashionwear» und problematische Arbeitsbedingungen suggeriert.
Die Aussagen erhalten durch die berufliche Stellung von LKe erhöhtes Gewicht. Durch ihre Tätigkeit als Verantwortliche für den Einkauf eines internationalen Textilhandelsunternehmens repräsentiert LKe «Fashionwear» nach aussen. Es ist davon auszugehen, dass sie mit diversen Vertretern von Lieferanten und mit
11 PORTMANN/WILDHABER, N. 365.
Kunden über das Netzwerk «ProConnection» vernetzt ist, und ihr Beitrag aktive oder potenzielle Geschäftsbeziehungen belastet. Ein finanzieller Schaden ist nicht auszuschliessen.
Das Obergericht des Kantons Zürich hat beispielsweise die Rechtmässigkeit einer Kündigung durch den Arbeitgeber aufgrund eines Kommentars des Arbeitnehmers auf einer branchenrelevanten Onlineplattform bestätigt. Hier sei die Treuepflicht gegenüber dem Arbeitgeber höher zu werten als die Meinungs- und Informationsfreiheit im Sinne von Art. 16 BV.12
Verletzungen der Treuepflicht können, je nach Schwere, mit fristloser Kündigung, gegebenenfalls mit Kürzung oder Wegfall einer Gratifikation oder mit Schadenersatz (nach Art. 321e OR) sanktioniert werden. Eine Kürzung des Lohns ist dagegen nicht möglich.13 Bei der Forderung von Schadenersatz kann es allerdings schwierig sein, den exakten entstandenen Schaden nachzuweisen, auch die Haftung des Arbeitnehmers ist in der Regel sehr beschränkt.14
In jedem Fall kann die sofortige Löschung des Posts und gegebenenfalls die Richtigstellung verlangt werden, um einen potenziellen Reputationsschaden abzuwenden.
Zustellung des Personaldossiers
Die Zustellung des Personaldossiers ist ein Recht, das sich aus Art. 8 DSG (ab September 2023 Art. 25 revDSG) ergibt, wonach die betroffene Person Einsicht in die sie selbst betreffenden Personendaten erhalten kann. Das Gesetz nennt hierbei auch die Einschränkungen (Art. 9 DSG, Art. 26 revDSG).
Es kommt häufig vor, dass in arbeitsrechtlichen Streitfällen mit Bezugnahme auf Art. 8 DSG zunächst einmal das Personaldossier eingefordert wird. Teilweise wird in der Fachliteratur das Auskunftsrecht nach Art. 8 DSG im Zusammenhang mit der Durchsetzung arbeitsrechtlicher Ansprüche als «ein umfassendes, einfaches und kostenloses Instrument […], um vom Arbeitgeber Einblick in die eigenen Personaldaten zu erlangen» beschrieben.15
In den letzten Jahren wurde jedoch in der Fachliteratur und in Gerichtsurteilen verstärkt für eine Rechtsmissbräuchlichkeit dieses Vorgehens argumentiert, wenn
12 OGer ZH, Urteil LA150002 vom 27.3.2015.
13 STREIFF/VON KAENEL, Art. 321a OR N. 3.
14 STUTZ/VALLONI, N. 5.33 und N. 5.38.
15 RUDOLPH, AJP 2014, S. 1672.
das Auskunftsbegehren lediglich der «Ausforschung» einer möglichen Gegenpartei dient. Der Zweck des Auskunftsrechts bestehe nicht darin, dem auskunftssuchenden Arbeitnehmer die einfache und kostenlose Beschaffung von nützlichem Beweismaterial zu ermöglichen.16 Als Referenzurteil des Bundesgerichts gilt der Entscheid BGer 4A_277/2020 vom 18.11.2020.
Im Gesuch von LKe liegt der Verdacht nahe, dass eine Rechtsmissbräuchlichkeit gegeben ist, da das Gesuch im direkten Zusammenhang mit ihrer Einsprache wegen missbräuchlicher Kündigung gestellt wurde. Dennoch ist gut abzuwägen, ob die «Fashionwear» die Zustellung des Personaldossiers verweigern oder einschränken möchte. Der Beweis für die Umstände, die auf den Rechtsmissbrauch schliessen lassen, obliegt der Arbeitgeberin.17
Aufgrund der vorliegenden Informationen dürfte eine Herausgabe des Personaldossiers unkritisch sein. Die meisten Dokumente des Personaldossiers, wie Arbeitsvertrag, Korrespondenz und Arztzeugnisse, sind LKe ohnehin zugänglich. Die Personalbeurteilungen sind im Zusammenhang mit der Kündigung nicht wesentlich.
Sofern weitere Unterlagen Teil des Personaldossiers sind, die sich im Zusammenhang mit der Kündigung als nachteilig für die «Fashionwear» erweisen könnten, kann die Herausgabe nach Art. 9 Abs. 4 DSG (Art. 26 Abs. 2 lit. a revDSG) verweigert, eingeschränkt oder aufgeschoben werden. Dies muss in jedem Fall begründet werden (Art. 9 Abs. 4 DSG, Art. 26 Abs. 4 revDSG).
Die Auskunft muss nach revidiertem Datenschutzgesetz nicht, wie gefordert, innert 10 Tagen erfolgen, sondern innert 30 Tagen (Art. 25 Abs. 7 revDSG). In der bis Ende August geltenden Fassung des DSG ist keine Frist gesetzt.
Zwischenzeugnis
Nach Art. 330a Abs. 1 OR kann der Arbeitnehmer jederzeit vom Arbeitgeber ein Zeugnis verlangen, das sich über die Art und Dauer des Arbeitsverhältnisses sowie über seine Leistungen und sein Verhalten ausspricht. Zweck des Zeugnisses ist die Förderung des wirtschaftlichen Fortkommens des Arbeitnehmers.18 Das
16 SUTER-SIEBER/STUTZ/WIRZ, AJP 2021, S. 594.
17 SUTER-SIEBER/STUTZ/WIRZ, AJP 2021, S. 604.
18 U.a. PELLASCIO, Art. 330a OR N. 1; PIETRUSZAK, Art. 330a OR N. 1.
heisst, das Arbeitszeugnis muss zum einen wohlwollend sein, muss zum anderen aber auch den Anspruch an Wahrheit und Vollständigkeit erfüllen.19
Erwähnung des gekündigten Arbeitsverhältnisses
Das Zwischenzeugnis beschreibt nur die Zeitperiode zwischen der erstmaligen Anstellung und dem Zeitpunkt, zu dem das neue Zwischenzeugnis erstellt wird.20 Das Ende des Arbeitsverhältnisses darf also im Zwischenzeugnis weder mit Zeitpunkt noch mit Grund erwähnt werden. Das Zwischenzeugnis wird jedoch durch das Schlusszeugnis ersetzt werden, in dem der Austritt erwähnt werden muss.21
Erwähnung des illoyalen Verhaltens
Der Social-Media-Post von LKe bezüglich der Kündigung stellt klar ein illoyales Verhalten dar (siehe Ziffer 2.6), auch die fehlende Kooperation während der Arbeitsunfähigkeit kann als illoyales Verhalten ausgelegt werden.
Das Arbeitszeugnis soll aber ein Bild über das gesamte Arbeitsverhältnis geben. Daher dürfen strafbare Handlungen, Krankheiten und ausserdienstliche Umstände, die für Leistungen und dienstliches Verhalten (im Gesamtbild) nicht wesentlich waren, auch nicht erwähnt werden.22 Da das illoyale Verhalten nicht repräsentativ für das gesamte Arbeitsverhältnis ist, gehört es nicht ins Arbeitszeugnis.
Vorschlag zum weiteren Vorgehen
Das Schreiben von LKe vom 15. August 2023 stellt eine Einsprache gegen eine missbräuchliche Kündigung im Sinne von Art. 336b OR dar und noch keine Klage. Auf diese Einsprache sollte rasch schriftlich reagiert werden und dabei auf die Forderungen von LKe Bezug genommen werden. Es empfiehlt sich, im gleichen Schreiben auf die Treuepflichtverletzung durch den Social-Media-Post von Mitte August zu reagieren.
19 PELLASCIO, Art. 330a OR N. 12.
20 MÜLLER/THALMANN, S. 16.
21 MÜLLER/THALMANN, S. 47.
22 PORTMANN/RUDOLPH, Art. 330a OR N. 5.
Einsprache und vorbehaltene finanzielle Forderungen
Die Kündigung erfolgte unter Wahrung der Kündigungsfrist und nach Ablauf der Sperrfrist. Für ein Verschulden der «Fashionwear» an der Arbeitsunfähigkeit (Verletzung der Fürsorgepflicht) von LKe ist die Arbeitnehmerin beweispflichtig. Ein Verschulden kann anhand der bekannten Sachlage nicht angenommen werden. Daher sind der Vorwurf einer missbräuchlichen Kündigung sowie die vorbehaltenen finanziellen Forderungen im Antwortschreiben zurückzuweisen.
Schriftliche Begründung der Kündigung
Die Kündigung ist auf Verlangen der Arbeitnehmerin schriftlich zu begründen. Das kann im Antwortschreiben an LKe erfolgen. Hier kann allgemein die lange Abwesenheit und die Unsicherheit bezüglich der Wiederaufnahme der Arbeit genannt werden. Dies ist sinnvoll, da die Funktion von LKe als Verantwortliche für den Einkauf in einem Textilhandelsunternehmen eine grosse Bedeutung hat.
Personaldossier
Wie in Ziffer 2.4 beschrieben, ist die Forderung nach dem Personaldossier möglicherweise als rechtsmissbräuchlich zu bewerten. Dennoch kann das Personaldossier in diesem Fall herausgegeben werden, da es, soweit bekannt, keine kritischen oder der Mitarbeiterin nicht bekannten Inhalte enthält, die LKe zur Sammlung von Beweisen gegen die «Fashionwear» dienen könnten. Daher wird empfohlen, das Personaldossier innerhalb der gesetzlichen Frist von 30 Tagen mit separater Post oder elektronisch zuzustellen. Es empfiehlt sich, hier keinen weiteren Konflikt zu befördern.
Zwischenzeugnis
Arbeitnehmer haben jederzeit das Recht, ein Zwischenzeugnis zu verlangen. Das Zwischenzeugnis ist im Sinne des wirtschaftlichen Fortkommens zu formulieren und soll potenziellen neuen Arbeitgebern ein Bild über die gesamte Dauer des Arbeitsverhältnisses geben. Es wird empfohlen, das illoyale Verhalten nicht zu erwähnen, da es nicht wesentlich für das gesamte Arbeitsverhältnis ist. Auch das gekündigte Arbeitsverhältnis ist im Arbeitszeugnis nicht zu erwähnen, während nach Austritt im Schlusszeugnis die Art und Weise der Kündigung erwähnt werden muss.
Ende des Arbeitsverhältnisses
Aktuell ist davon auszugehen, dass das Arbeitsverhältnis mit LKe mit Ablauf der Kündigungsfrist per 31. Oktober 2023 beendet wird. Tritt aber eine weitere Arbeitsunfähigkeit aus einem anderen Grund als der derzeitigen Arbeitsunfähigkeit ein, kann es zu einer erneuten Sperrfrist kommen, die das Arbeitsverhältnis verlängert. In diesem Fall sollte die erneute Arbeitsunfähigkeit direkt in Frage gestellt werden und ein detailliertes Arztzeugnis eingefordert werden. Im Zweifel sollte LKe dann zur vertrauensärztlichen Untersuchung aufgeboten werden. Dies wurde bei der bisherigen Arbeitsunfähigkeit trotz Nichtkooperation versäumt.
Treuepflichtverletzung
LKe sollte aufgefordert werden, den Social-Media-Post von Mitte August 2023 auf der Plattform «ProConnection» umgehend zu löschen. Kommt sie dieser Aufforderung nicht nach, kann auch eine Löschung beim Betreiber der Plattform
«ProConnection» verlangt werden oder gemäss Art. 28a ZGB gegen LKe auf Beseitigung des Beitrags geklagt werden.23
Sofern ein Schaden für «Fashionwear» nachweisbar ist, kann unter Umständen Schadenersatz geltend gemacht werden. Das kann der Fall sein, wenn eine Lieferanten- oder Kundenbeziehung mit Hinweis auf die Kündigung von LKe beendigt wird oder nicht zustande kommt.
Eine fristlose Kündigung kann vom vorliegenden Sachverhalt her gerechtfertigt sein, allerdings hätte diese unverzüglich erfolgen müssen. Die Rechtsprechung geht von einer Frist von zwei bis drei Arbeitstagen aus, innerhalb der die Arbeitgeberin bei klarem Sachverhalt reagieren muss.24
23 Vgl. MEIER, S. 55.
24 BGer 4A_57/2021 vom 21.7.2021 E. 3.2.2.
Literaturverzeichnis
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MÜLLER ROLAND/THALMANN PHILIPP, Streitpunkt Arbeitszeugnis, Basel 2012.
PELLASCIO MICHEL, in: Kren Kostkiewicz Jolanta/Wolf Stephan/Amstutz Marc/Fankhauser Roland (Hrsg.), OR, Kommentar zum Schweizerischen Obligationenrecht, 4. Aufl., Zürich 2023.
PETERMANN FRANK TH., Rechte und Pflichten des Arbeitgebers gegenüber psychisch labilen oder kranken Arbeitnehmern, ARV 2005, S. 1 ff.
PIETRUSZAK THOMAS, in: Honsell Heinrich (Hrsg.), Kurzkommentar Obligationenrecht, Basel 2014.
PORTMANN WOLFGANG, Das Verhältnis der «Entschädigung» zu Schadenersatz und Genugtuung – Aspekte des Arbeitsvertrags- und des Gleichstellungsrechts, ArbR 2008,
S. 15 ff.
PORTMANN WOLFGANG/RUDOLPH ROGER, in: Widmer Lüchinger Corinne/Oser David (Hrsg.), Basler Kommentar Obligationenrecht I, 7. Aufl., Basel 2020.
PORTMANN WOLFGANG/WILDHABER ISABELLE, Schweizerisches Arbeitsrecht, 4. Aufl., Zürich/St. Gallen 2020.
REHBINDER MANFRED/STÖCKLI JEAN-FRITZ, Berner Kommentar, Der Arbeitsvertrag, Art. 331–355 und Art. 361–362 OR, Schweizerisches Zivilgesetzbuch, Das Obligationenrecht, 2. Aufl., Bern 2014.
RUDOLPH ROGER, Das Recht des Arbeitnehmers auf Einsicht in sein Personaldossier, AJP 2014, S. 1672 ff.
STREIFF ULLIN/VON KAENEL ADRIAN/RUDOLPH ROGER, in: Arbeitsvertrag,
Praxiskommentar zu Art. 319–362 OR, 7. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2012.
STUTZ MICHÈLE/VALLONI NOEMI, Kapitel 5: Social Media im Arbeitsrecht, in: Staffelbach Oliver/Keller Claudia (Hrsg.), Social Media und Recht für Unternehmen, Zürich/Basel/Genf 2015.
SUTER-SIEBER IRÈNE/STUTZ CHRISTOPH/WIRZ CHIARA, Datenschutzzweckwidrige Auskunftsbegehren im Arbeitsverhältnis, AJP 2021, S. 593 ff.